FIRST YIDDISH LANGUAGE CONFERENCE
 
DIE SPRACHOESETZGEBER VON CZERNOWITZ.
Von Dr. A. Coralnik.

Man könnte die Sache von der heiteren Seite betrachten. Einige jüdische Schriftsteller, darunter auch solche von Namen und Wert, und einige Amateurs des Jargons, haben sich in Czernowitz versammelt, um die Sprachfrage im Judentum endgültig zu entscheiden. Und nach längeren oder kürzeren Debatten wurde eine Resolution eingebracht und angenommen, die nichts mehr und nichts weniger besagt, als daß die einzige Nationalsprache der Juden der jüdische "Jargon" sei. Eine Resolution, gegen die der bedeutendste der dort versammelten Schriftsteller, J. L. Perez, der größte Stilist der Jargonliteratur, Einspruch erhob. Und wie es einmal bei uns Sitte ist, wird auch diese Resolution eine imperative Form annehmen, ein neuer Programmpunkt in den so zahlreichen jüdischen Plattformen werden. 

Abgesehen von den zwei, drei jüdischen Schriftstellern, die dort waren, wer waren denn diejenigen, die auf sich die Verantwortung nehmen zu können glaubten, eine der Grundfragen des jüdischen Volkes im Handumdrehen zu lösen, Resolutionen zu fassen und so weiter? Einige Studenten aus der Rukowina und Galizien, einige Jargonsportsmen und einige andere, die für den Jargon eintreten, weil... sie überhaupt keine andere Sprache beherrschen, und nun aus der Not eine Tugend machen. Alle Achtung vor den Einberufern. Sie sind wohl mit guten Absichten vollgepfropft. Sie ärgern sich vielleicht wirklich, daß ihnen die Kultursprache der Juden, die Schatzkammer ihres Geistes, das Erbe der Jahrtausende, ein versiegeltes Geheimnis ist. Es ist natürlich leichter, für einen deutschen oder österreichischen Juden Jargon zu erlernen, als hebräisch. Wie ein Jude deutsch lernt, ist ja bekannt. Man muß nur anstatt des "O"-Vokals in einem jüdischen Worte ein "A" setzen und die Transformation ins Germanische ist vollzogen. So z. B. die "Levane" usw. Diese unfehlbare Regel muß man nun mutatis mutandis bei der Jargonisierung des Deutschen anwenden. Es ist leicht in jüdischen Lettern folgenden klassischen Satz niederzuschreiben: "Ein verflammter Liebhaber von sein lebendig Leben auf der Welt". Sie meinen, so ein Satz hat für den wirklichen Jargonjuden keinen Sinn, weil er eine schlechte jüdische Paraphrase eines deutsch-gedachten Satzes ist. Sie meinen vielleicht, daß dieser Satz, auch in reines Deutsch übersetzt, dicht an der Grenze des Unsinns wäre - vielleicht. Ich habe diese Stilblüte in einem Artikel eines jargonisierenden Schriftstellers gelesen, eines Schriftstellers, der sonst ein ziemlich schönes Deutsch schreibt. Ja - Jargon ist leicht zu schreiben, wenn man das jüdische Alphabet einmal erlernt hat... Wirklich komisch! Menschen, die nie die Jargonsprache gesprochen haben, wollen sie mit fanatischem Eifer zur Nationalsprache erheben; andere, denen nicht einmal die Anfangsgründe einer wissenschaftlichen Grammatik, einer Sprachwissenschaft bekannt sind, wollen die Aristarche des Jargons sein. Es ist eine beneidenswerte Gabe - naiv zu sein! 

Ich habe die heitere Seite zuerst berührt, weil sie zu auffällig ist. Und auch deshalb, weil ich die eigentliche Frage, den Streit zwischen Jargon und Hebräisch, für müßig halte. 

Liegt denn wirklich der Schwerpunkt des Judentums in der Einheit der Sprache? Die Juden waren doch seit jeher ein zweisprachiges Volk. Und hatten die Juden in Babylon, die aramäisch und hebräisch, die von Alexandrien, die griechisch, und die spanischen Juden, die arabisch und spanisch sprachen, weniger Einheit und Einheitlichkeit, als die Völker ringsumher, die nur eine Sprache batten? 

Die Sprache ist wohl em sozialer Faktor, aber nicht der wichtigste. Der Streit zwischen der Tages-sprache und der Nationalsprache war den früheren Juden fast unbekannt. Die größten Gegensätze wurden in einer einzigen großen Einheit aufgehoben, in der geistigen Einheit des jüdischen Volkes. Und desbalb konnte der Yemenite den Polacken leicht verstehen, weil die Sprache des Geistes des Judentums die-selbe war. 

Die hebräische Sprache blieb von den verschieden-artigen Einflüssen nicht unberührt. Jedes Land lieh ihr eine leise, fast unmerkliche, aber doch neue Schattierung. Jede Form des jüdischen Lebens, jede Bildung und Verbildung prägte ihr einen Stempel auf - sie war wirklich die Nationalsprache der Juden, die nationale Wirklichkeitssprache. Denn eine nationale Wirklichkeit ist eine andere als die Tageswirklichkeit. Diese vergeht mit dem Tag - jene wird die Stufe zu weiterem Leben. 

Warum ist plötzlich der Streit um den Jargon entstanden, der Streit um das Vorrecht der einen oder der anderen Sprache? Und warum gerade in einer Zeit, da beide Sprachen, Jargon und hebräisch, allmählich aus dem Gebrauch kommen! Vielleicht ist dies gerade der Grund. Wäre der Jargon wirklich stark und lebensmächtig, selbstherrlich und selbstgenügsam, hätte er wirklich Wurzeln in der Zeit - dann wäre ein derartiger Streit eine Unmöglichkeit. Denn der Sprache gehört das Feld, in der gesprochen und gedacht wird, in der die ganze Skala der Erlebnisse ihren adäquaten Ausdruck findet. Hat die hebräische Sprache wirklich schon abgewirtschaftet? Und kann der Jargon sich wirklich behaupten, kann er den ganzen inneren Reichtum, den die hebräische Kultur aufgespeichert hat, vermehren oder wenigstens bewahren? Und dieses "Wenigstens" ist nicht einmal am Platz. Eine Sprache muß in sich kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten haben, oder sie lebt nicht. Was ist nun im Jargon bisher geschaffen worden? Nehmt alles in allem - so ist es Fo1k1ore. Jawohl - die ganze Jargonliteratur hat mehr Wert als Material zur Kulturgeschichte als eigenen Kulturwert. Nicht daß Abramowitsch oder Perez usw. keine Künstler waren. Sogar starke Talente, wie sie auch in anderen Literaturen nicht häufig sind. Aber was haben sie anderes getan - als ihre Zeit fixieren, Kultur-geschichte in Bildern schreiben? Die Kultur eines Volkes wird nicht durch Belletristik und nicht durch kleine Gedichte und bessere oder schlechtere Dramen gemacht, sondern vor allem durch große, fruchtbare Werke des Gedankens. Die Bibel hat eine Kultur geschaffen, der Koran hat eine Geistesbewegung ausgelöst, die Vedas standen an der Wiege einer großartigen, eigenartigen Kultur. Oder aber auch, wenn ein Volk eine Sprache seit unvordenklichen Zeiten besitzt, sie pflegt, gleichsam schafft, sie erringt, dann hat sie für ihn einen großen und unverlierbaren seelischen Wert, weil sie das Gedächtnis des Volkes ist. 

Alle diese Voraussetzungen fehlen dem Jargon. Es gibt kein einziges Werk von Bedeutung, ich sage nicht für die Welt, sondern einfach für die Juden, das im Jargon geschrieben wäre. Man denke sich einen Teil der alt- und mittelhebräischen Literatur weg - und die geschichtliche Physiognomie des jüdischen Volkes wäre eine andere geworden. Man streiche die gesamte Jargon literatur - kein Mensch wird den Verlust empfinden. Nun kommt einer der Jargon-enthusiasten und schlägt vor, alle hebräischen Kulturwerke, die Bibel usw. in die Volkssprache zu übersetzen. Als ob dies nicht geschehen wäre! Er vergißt ganz, daß die Bibel, ihrer Sprache entkleidet, in eine regel- und stillose Sprache übersetzt, so unendlich viel verliert. Er vergißt, daß der große Zauber der Bibel für die Juden in den Imponderabilien der hebräischen Sprache liegt, in der unmerkbaren, undefinierbaren Empfindung, die beim Klange eines hebräischen Wortes in uns entstehen, Gefühle, die sicherlich Spuren tiefer Erlebnisse, geschichtliches Gedächtnis, rassenpsychische Emotionen sind. Der Jargon ist die Volkssprache der Juden - jawohl, aber nur eines gewissen Teiles. Dieser Teil ist zwar die Majorität - aber solange ein Teil der Juden als Volkssprache eine andere anerkennt, kann der Jargon keine Geltung als Nationalsprache erlangen, nicht einmal beanspruchen. Er ist eine Übergangssprache, die dem Untergang geweiht ist. Eine, zwei Generationen - und die Juden im Osten Europas und in Amerika werden den Jargon gesprochen haben... Es ist eine Bahnhofsprache, keine Sprache des Heimes. Man kann ein sehr guter, wahrer, produktiver Jude sein, ohne Jargon zu sprechen. Wozu nun auf die Masse der Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, zu all dem Mühsal, das uns niederdrückt, noch eine harte Arbeit auftürmen? 

Die Jargonsprache ist nicht lebensfähig, das will nicht sagen, daß sie nicht lebensberechtigt sei. Aber was lebt, unterliegt keinem Zweifel. Und deshalb ist die Jargonliteratur eine verständliche, notwendige und willkommene Erscheinung. Aber diese Sprache hat keine Zukunft. Das ist auch kiar. Wozu nun auf den Sand bauen? Wozu Unmöglichkeiten konstruieren? 

Gebt der Gegenwart, was der Gegenwart ist, und der Zukunft, was ihr gebührt. Daß die Gegenwart dem Jargon zu einem Teile gehört, will ich nicht bestreiten. Aber die Zukunft - fara da se. - Den Prozeß der Auflösung und Ablösung der Sprachen und Kulturen kann kein Wille von Einzelnen - können auch nicht Resolutionen, wie die der Konferenz der Sprachgesetzgeber von Czernowitz - aufhaten. 

Back to the FIRST YIDDISH LANGUAGE CONFERENCE home page
 Back to
Back to Shtetl
Feedback, questions: send e-mail to Iosif_Vaisman@unc.edu